In der Wirtschaft und anderswo: Erfolgreiche Zusammenarbeit von Menschen hängt auch davon ab, wie sie mit Entschuldigung umgehen: mit dem Verzeihen. Denn wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Und wo Arbeit auf Augenhöhe stattfindet (nicht nur auf Befehl und Gehorsam), ist Verzeihung notwendig.
Angela Merkels Worte zum Rückzug vom Oster-Lockdown 2021 richtete daher den Fokus auf etwas, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Immer wieder falsch
Immer wieder hört man den Satz: „Dafür entschuldige ich mich.“ Er mag aufrichtig gemeint sein – immerhin. Und er mag den Kern meinen; aber er benennt ihn nicht. Denn der Kern ist nicht nur
die Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben, und nicht nur dessen Eingeständnis – oder, wie es mitunter heißt: das „Übernehmen von Verantwortung“. (Worin sollte es auch bestehen – außer in
einem Rücktritt: Der passiert fast nie mehr. Oder in der Wiedergutmachung: Die ist oft unmöglich.)
Der Kern ist vielmehr, die Betroffenen tatsächlich um Verzeihung zu bitten: um „Ent-Schuldigung“. Mit dem Fehler hat der Verursacher eine Schuld auf sich geladen; und diese Schuld können
nur die Betroffenen von ihm nehmen, ihm also „Ent-Schuldigung“ gewähren – oder, mit dem anderen Wort: „Verzeihung“. „Sich entschuldigen“ geht gar nicht – es sei denn, mein Flugzeug hatte
Verspätung oder der Taxifahrer ist falsch gefahren.
Voraussetzung: Ehrlichkeit
Ist die Bitte um Verzeihung ehrlich gemeint, verhält der Bittende sich also authentisch, dann kann Ent-Schuldigung gelingen. Die Bitte verlegt das Gewicht quasi auf die andere Seite: Der Bittende kann nichts weiter tun (außer, die Reparatur des Fehlers zu befördern); der Gebetene ist am Zug. Versagt dieser die Verzeihung, bleibt das Gewicht auf seiner Seite. Merkels Satz: „Das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte ich die Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung“, verschiebt das Gewicht also zu ihnen. Versagen sie ihr die Verzeihung, bleibt das Gewicht bei ihnen. Anerkennen sie, dass Merkel sich bemüht hatte, hier aber einen Fehler eingestanden und dafür um Verzeihung gebeten hat (und ihn gutmachen will), schaffen sie die Sache aus der Welt: Die Voraussetzung für neue, gedeihliche Arbeit ist geschaffen. Ebenso ist es in jedem anderen Zusammenleben, in jeder Zusammenarbeit.
Verzeihung üben
Ehrliches Bitten um Verzeihung und das Gewähren von Verzeihung tut gut. Es klärt und räumt auf. Es befreit und gewährt Neuanfang. Es kostet Überwindung, aber setzt Kraft frei. Es löst Beklemmung
und gibt Energie. Es stellt emotional wie rational die Weichen neu: innerhalb von Teams und über sie hinaus. Es ist ein sozialer Balsam, ohne den Gruppen kaum denkbar sind.
„Geh und entschuldige dich“ ist daher ein falscher Satz. Lieber sollten Eltern sich die Mühe machen, ihre Kinder loszuschicken mit dem Satz: „…und bitte um Entschuldigung“. Gut wäre, bei Gelegenheit selbst seine Kinder darum zu bitten – bzw., als Vorgesetzte, seine Mitarbeitenden. Eine Kultur von Bitte und Gewähren von Verzeihung ist nötig. Und zwar nicht irgendwie „moralisch“, sondern als Fundament für gelingendes Leben und Arbeiten: in Partnerschaft, Familie und Beruf.
hr